Der Oberste Gerichtshof hatte bereits 2013 entschieden, dass Scientology eine Religion ist. Das stellte das Gericht in seiner Entscheidung fest.
Das Gericht hatte zu entscheiden, ob zwei Gebäude der Scientology-Kirche London wegen ihres religiösen Charakters als steuerbefreit betrachtet werden könnten. Es erörterte die Rolle der Kapellen innerhalb der Scientology-Kirchen. Diese werden für Sonntagsgottesdienste, wöchentliche Abschluss- und Zertifikate-Zeremonien, Hochzeiten, Beerdigungen, Taufen und Priesterweihen verwendet.
Das Gericht hörte verschiedene Zeugenaussagen, aus denen es schlussfolgerte, dass Gottesdienste in der Kapelle regelmäßig stattfinden, auch wenn sie im Leben eines Scientologen etwas weniger häufig sind als das Auditing und die Ausbildung, die auf Schriften des Kirchengründers L. Ron Hubbard gründen.
Das Steuergericht von England verweigerte am 10. Juni 2021 die Steuerbefreiung für die Räumlichkeiten der Scientology Kirche London mit dem Argument, dass die Sonntagsgottesdienste nur ein kleinerer Teil der Aktivitäten der Kirche seien und nicht geworben werde dafür. Das Gericht stellte jedoch fest, dass bei einem verdeckten Sonntagsbesuch in der Kirche, “ein großes Plakat in einem der Schaufenster bemerkt wurde, auf dem für den Sonntagsgottesdienst und weiteres geworben wurde, um Menschen in das Gebäude einzuladen.”
“Als die Person vor dem Gottesdienst eintraf, waren draußen zwei Stände aufgestellt worden. Einer warb für den Sonntagsgottesdienst und der andere bot kostenlose Persönlichkeitstests an. Als er das Gebäude betrat, wurden ihm die Möglichkeit angeboten, den Test zu machen. Als er Interesse am Sonntagsgottesdienst bekundete, wurde er dafür willkommen geheißen.”
Das Gericht stellte fest, dass “es die Einladung selbst ist, die einen Gottesdienst als öffentlichen Gottesdienst kennzeichnet.” Da Scientology offen ist, Nichtmitglieder zu ihren Gottesdiensten zuzulassen und sie auch über soziale Medien aktiv zur Teilnahme einlädt, bietet sie einen “öffentlichen Gottesdienst” an.
Auch der weitere Einwand der Steuerbehörde wurde zurückgewiesen, dass das Scientology-Gebäude auf Passanten nicht wie eine Kirche wirke. “Die imposante Portland-Steinfassade des Gebäudes verfügt über Balkone und Fahnenmasten, die im Vatikan nicht fehl am Platz wirken würden. Über dem vollständig verglasten Haupteingang sind die Worte “Church of Scientology – London” gut sichtbar in goldenen Lettern angebracht. Auf einem großen weißen Schild über dem Namen prangt das achtzackige Scientology-Emblem. Sechs Schaufenster im Erdgeschoss zeigen Plakate, Filmterminals und anderes Werbematerial. Dies ist kein Gebäude, das versucht, seine Nutzung zu verbergen.”
Infolgedessen stellte das Gericht die Steuerbefreiung für die Kapelle und für einen Großteil der Räume und Stockwerke in den Scientology-Gebäuden wieder her. Das britische Gesetze befreie Räume von Steuern, “die in Verbindung mit einem Ort öffentlicher religiöser Zeremonien und für die Zwecke der Organisation genutzt werden.”
Dieses Urteil des Gerichts reiht sich in eine lange Liste von Entscheidungen ein, in denen Gerichte demokratischer Länder die bestehende Rechtsprechung an eine Religion anpassen, die als solche anerkannt ist, aber in ihrer Tätigkeit nicht in das traditionelle Modell des Christentums, des Judentums oder des Islam passt.
Die Entscheidung sollte als Sieg für die Religionsfreiheit und als weise Anerkennung des zeitgenössischen religiösen Pluralismus begrüßt werden.
Autor: Massimo Introvigne (* 14. Juni 1955 in Rom) ist ein italienischer Religionssoziologe. Er hat etwa 70 Büchern und mehr als 100 Artikeln im Bereich der Religionssoziologie geschrieben. Vom 5. Januar bis 31. Dezember 2011 war er «Beauftragter für die Bekämpfung von Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Diskriminierung, mit besonderem Schwerpunkt auf der Diskriminierung von Christen und Angehörigen anderer Religionen» der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE).